Die Gesellschaftliche Dimension rechter Morde
Rechte und rassistische Morde erfordern unsere besondere Aufmerksamkeit. Die gesellschaftspolitische Dimension der Morde muss berücksichtigt werden. Die menschenverachtenden Einstellungen, die für die Täter:innen handlungsleitend sind, lassen sich in der gesamten Gesellschaft feststellen, nicht nur bei Neonazis. Im Zentrum steht die Vorstellung der Ungleichwertigkeit von Menschen und die Feindschaft gegen diese. Anhand von Merkmalen wie Herkunft, Hautfarbe, sozialer Lage oder Sexualität werden Menschen in Gruppen zusammengefasst, abgewertet und diskriminiert. Für viele rechtfertigt die Abwertung auch Gewalt. Die in unserer Gesellschaft verbreitete Ansicht, dass bestimmte Gruppen weniger wert sind als andere, ist den Mörder:innen eine Rechtfertigung für ihr Handeln.
Zum Umgang mit den Betroffenen
Gerade im Umgang mit den Betroffenen sollte die gesellschaftliche und politische Dimension berücksichtigt werden. Zu oft wird bei der Spekulation über das Motiv der Täter_innen vergessen, dass die Opfer Angehörige haben, die den Verlust eines geliebten Menschen bewältigen müssen. Zudem sind die Angehörigen nach der Tat häufig mit ebenjenen Vorurteilen konfrontiert, die ursächlich für den Mord waren. Auf Polizeidienststellen müssen sie oft zusätzliche Demütigungen ertragen, es kommt zu einer Täter-Opfer-Umkehr und vor Gericht werden sie mit Urteilen konfrontiert, die die Ursachen der Morde in Alkoholkonsum, Langeweile oder jugendlichem Leichtsinn sehen. Eine Entpolitisierung der Taten ist regelmäßig zu beobachten. Dem Schicksal der Angehörigen sollte nicht nur mit Mitgefühl und Respekt begegnet werden. Es sollte berücksichtigt werden, dass ihre Nächsten, als Vertreter:innen einer von der Dominanzgesellschaft abgewerteten Gruppe, ermordet wurden.
Eine Ausstellung für Leipzig … / Ein Rundgang für Leipzig
Die in Leipzig ermordeten Menschen wurden aus homosexuellenfeindlichen, sozialdarwinistischen oder rassistischen Motiven getötet. An anderen Orten mussten Menschen sterben, weil sie jüdischen Glaubens waren, sich antifaschistisch engagierten oder einfach nicht rechts waren. Die tatsächliche Identität der Betroffenen ist oft nachrangig, da die Täter:innen aufgrund ihrer den Betroffenen zuschriebenen Merkmale handeln. Rechte und rassistische Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das allzu oft kleingeredet oder bestritten wird. Doch Wegsehen hilft nur den Täter:innen und all jenen, die ihre Einstellungen teilen oder zumindest dulden.
Diese Ausstellung entstand 2013. Mit ihr wollten wir genau hinsehen und die Probleme klar benennen. Sie war das Ergebnis einer längeren Auseinandersetzung mit rechter und rassistischer Gewalt und ihren Opfern in Leipzig. Anlass waren der gewaltsame Tod des Wohnungslosen Karl-Heinz Teichmann im September 2008 sowie der rassistisch motivierte Mord an Kamal Kilade im Oktober 2010. Auch die Ermordung des Wohnungslosen André K. in Oschatz im Mai 2011 war für die Erstellung der Ausstellung ausschlaggebend. Fast zehn Jahre später hat das Thema rechte Gewalt und rechter Terror nichts von seiner Aktualität verloren. Nicht nur nach der Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) 2011 und den rechtsterroristischen Taten in München (2016), Halle (2019) und Hanau (2020) sind die mörderischen Konsequenzen menschenfeindlicher Einstellungen in Deutschland unübersehbar. Die schleppend angelaufene und nicht abgeschlossene politische und juristische Aufarbeitung rechter Gewalt, die nach der Selbstenttarnung des NSU einsetzte, führte in Sachsen nur zu einer minimalen Änderung der Anerkennungsraten rechter Gewalt. Viele der Ermordeten sind bis heute nicht offiziell als „Todesopfer rechter Gewalt“ anerkannt. Wir werten dies als Indiz für ein weiterhin mangelndes Problembewusstsein. Daher haben wir uns entschieden, die alte Ausstellung zu überarbeiten, zu aktualisieren und zu kontextualisieren. Darüber hinaus erweitern wir diese um einen interaktiven Gedenkrundgang.
… im Gedenken der Opfer
Die vielen Toten rechter und rassistischer Gewalt verpflichten zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den Ursachen. Den Opfern gerecht zu werden heißt, sich ihrer zu erinnern. Den Angehörigen gerecht zu werden heißt, ihnen mit Mitgefühl und Respekt zu begegnen. Die Ursachen der Morde müssen klar benannt, gesamtgesellschaftlich problematisiert und bekämpft werden. Denn jeder tote Mensch ist ein Toter zu viel.
Staatliche Erfassung und kritische Öffentlichkeit
Offizielle und unabhängige Zählungen
Mit der Ausstellung wollen wir für die offizielle Anerkennung der Toten als „Opfer rechter Gewalt“ eintreten. Mit dem Bekanntwerden der rassistischen Morde des Terrornetzwerkes „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) gewann die bundesweite Debatte um die Erfassung der Toten rechter und rassistischer Gewalt zusätzliche Brisanz. Die aktuelle Statistik der Bundesregierung zählt lediglich 109 Todesopfer seit 1990. Dem stehen 213 Todesopfer rechter Gewalt gegenüber, die von der unabhängigen Amadeu-Antonio-Stiftung recherchiert wurden. Recherchen der Zeitungen „Die Zeit“ und „Tagesspiegel“ gehen immerhin von 187 Toten und von 64 Verdachtsfällen aus. Recherchen für Ausstellung 2013 ergaben drei weitere Todesfälle nur für die Stadt Leipzig, die später Eingang in den oben genannten Statistiken gefunden haben. Eine deutlich höhere Dunkelziffer ist anzunehmen.
Die offizielle Erfassungspraxis
Die offizielle Anerkennung eines Menschen als „Todesopfer rechter Gewalt“ erfolgt durch das Justizministerium. Es urteilt auf Grundlage der Daten, die es von den Landeskriminalämtern erhält. Die wiederum kommen von den lokalen Polizeidienststellen. Für die Anerkennung als „Opfer rechter Gewalt“ ist demzufolge besonders entscheidend, ob die Kriminalbeamt:innen die Tat als rechte oder rassistische Gewalt einschätzen oder nicht. Eine Einschätzung erfolgt nach den juristischen Kriterien zur Erfassung „Politisch motivierter Kriminalität rechts“. Als „politisch rechts-motiviert“ gilt eine Tat dann, „wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen eine Person wegen ihrer/ihres zugeschriebenen oder tatsächlichen politischen Haltung, Einstellung und/oder Engagements, Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, Weltanschauung, sozialen Status, physischen und/oder psychischen Behinderung oder Beeinträchtigung, sexuellen Orientierung und/oder sexuellen Identität oder äußeren Erscheinungsbildes gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet“. (Bundeskriminalamt 2016)
„Politisch rechts-motivierte“ Delikte werden erst seit 2001 gesondert erfasst. Die Bundesregierung reagierte damit auf die Kritik von Opferberatungsstellen und engagierten Journalist:innen, die immer wieder auf die eklatante Differenz zwischen offiziellen und unabhängigen Statistiken hinwiesen. Zwar wurde die Erfassungskategorie begrifflich erweitert, bis heute lässt sich jedoch nicht nachvollziehen, wie genau eine Erfassung als „politisch rechts-motivierte Gewalt“ vollzogen wird. Erfassungsformulare und Kriterienkataloge werden der Öffentlichkeit bisher als „Verschlusssache“ vorenthalten.
Das Problem heißt Rassismus – auch bei Polizei und Staatsanwaltschaften
Das Neonazi-Terrornetzwerk NSU tötete zwischen 2001 und 2007 mindestens zehn Menschen. Diese wurden von Polizei und Staatsanwaltschaften trotz Definitionen und Kriterienkatalogen nicht als Opfer rassistischer Gewalt erkannt. Die Angehörigen hatten auf die rassistische Motivation der Täter:innen hingewiesen. Polizei und Staatsanwaltschaft jedoch, selbst mit rassistischen Stereotypen und Vorurteilen behaftet, ermittelten in mehreren Bundesländern im Bereich der „Ausländerkriminalität“ und verdächtigten sogar Familienangehörige der NSU-Opfer. Rassist:innen und Neonazis wurden als Täter:innen immer wieder ausgeschlossen, entsprechende Hinweise und Indizien wurden nicht beachtet. Rassistische, sozialdarwinistische, homosexuellenfeindliche und andere menschenverachtende Einstellungen bei Polizei und Staatsanwaltschaften sowie ein unkritischer Umgang der Justiz mit den polizeilichen Ermittlungen bei den Gerichtsprozessen scheinen relevante Ursachen für die statistischen Diskrepanzen zu sein.
Veränderung dringend erforderlich
Der Umgang der Bundesrepublik mit der Erfassung von Opfern rechter Gewalt findet auch international Beachtung. Im Deutschlandbericht des Anti-Rassismus-Komitees (Ecri) vom Februar 2014 wurde unter anderem gerügt, dass in Deutschland rassistische und homosexuellenfeindliche Motive bei Straftaten zu schnell ausgeschlossen werden. Der Bericht schlägt daher vor, das „System zur Erfassung und Nachverfolgung ‚rassistischer, fremdenfeindlicher und transphober‘ Zwischenfälle zu reformieren, um sicherzustellen, dass alle Fälle, die ein solches Motiv einschließen, erfasst werden“.